Tarifflucht per Betriebsvereinbarung? Ein Weckruf!

In einer Zeit, in der die Tarifbindung in vielen Branchen unter Druck steht, sehen wir uns als Gewerkschaften mit einer zunehmend verbreiteten Form des Union Busting konfrontiert: Insbesondere in tariflosen Betrieben und dort, wo ver.di eine Bewegung zur Tarifbindung organisiert, bieten Arbeitgeber Betriebsräten den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Entgeltgestaltung an.

Diese Praxis ist zwar nicht neu, gewinnt jedoch gerade in tariflosen Betrieben an Brisanz. Unsere Recherchen zeigen, dass dies branchenübergreifend geschieht. Ob in der Einzelhandelskette, in Druckereien, in der Wohnungswirtschaft oder im Gesundheitssektor – Arbeitgeber setzen Betriebsräte unter Druck, um Betriebsvereinbarungen zu Entgeltfragen zu erwirken, die hinter den Standards von Tarifverträgen zurückbleiben.

Der Betriebsrat gerät dabei in eine Zwickmühle: Entweder stimmt er dem Vorschlag des Arbeitgebers zu, was kurzfristig mehr Geld in den Taschen der Belegschaft bedeutet, oder er lehnt ab und macht deutlich, dass langfristig ein Tarifvertrag die bessere Wahl wäre. Der Arbeitgeber versucht, diese Position zu schwächen, indem er klarstellt, dass er niemals einen Tarifvertrag unterzeichnen wird. Ein Betriebsrat muss daher selbstbewusst und politisch agieren, um diesem Druck standzuhalten. Die Druckmittel Richtung Betriebsräte sind vielfältig. Von dem unmoralischen Angebot der Beförderung bis zum Ausspielen der Belegschaft gegen den Betriebsrat usw.

Geht das denn trotz Tarifvorbehalt im BetrVG? Was gut und richtig gemeint war, die Trennung der Zuständigkeiten von Gewerkschaften und Betriebsräten in der Regelung des § 77 Abs. 3 BetrVG hält in der Rechtsprechung nicht immer Stand. So gibt es mittlerweile viele Beispiele, gerade in Konzernstrukturen, wo wir rechtlich die Karte des Tarifvorbehalts nicht durchsetzen konnten. Der Tarifvorbehalt muss also gestärkt werden, der Druck den Betriebsräten genommen werden.

Auf dem ver.di-Bundeskongress in Berlin wurde im September genau dieses Thema diskutiert. Der Beschluss A 045 betont, dass wir als Gewerkschaften drei zentrale Ziele verfolgen: die Stärkung der Tarifbindung in tariflosen Betrieben, Erfolg in der Erschließungsarbeit und die Verhinderung der Instrumentalisierung von Betriebsräten durch Arbeitgeber. Diese Ziele sind untrennbar miteinander verbunden. Wir beobachten, wie Arbeitgeber reagieren, wenn ver.di beginnt, die Belegschaft zu organisieren und für einen Tarifvertrag zu mobilisieren. Anstatt in Verhandlungen einzutreten, wählen einige den Weg über Betriebsvereinbarungen, um die Bewegung im Betrieb zu schwächen und die Belegschaft zu spalten.

Der Bundeskongress hat klargestellt: Um unsere Arbeit zu erleichtern und die Tarifbindung zu stärken, muss § 77 Abs. 3 BetrVG geändert werden. Die gegenwärtige Rechtsprechung fällt oft zu unseren Ungunsten aus. Es ist an der Zeit, eine rechtssichere Formulierung zu finden, die unsere Position festigt.

Wir laden euch ein, Teil dieser Bewegung zu werden. Wenn ihr Fälle kennt, in denen Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen nutzen, um Tarifverträge zu umgehen, oder wenn ihr Unterstützung in solchen Fällen benötigt, meldet euch bei uns. Wir möchten diese Fälle dokumentieren und euch möglicherweise unterstützen und beraten.

Jetzt ist es an uns, die Spielregeln zu ändern! In einer Welt, die sich ständig wandelt, dürfen wir nicht stillstehen – vor allem nicht, wenn es um unsere Grundrechte am Arbeitsplatz geht. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen sich jede*r Einzelne von uns ermächtigt fühlt, sich zu organisieren und für eigene Interessen einzustehen. Steht auf und macht mit!