„Der Plan war das A & O unserer Streikbewegung“

Interview mit Jessica Demir und Enes Yavuz – Mitglieder der Verhandlungskommission Deutsches Dienstleistungszentrum für das Gesundheitswesen (DDG Essen)

Wie war die Situation bei der DDG vor eurer Organisierung?

Enes: Wir hatten keinen Betriebsrat und waren gewerkschaftlich nicht organisiert. Fünf Kolleg*innen haben sich entschlossen einen Betriebsrat zu gründen und so haben wir den Kontakt zu ver.di hergestellt. Rolf Hartmann, der für uns zuständige Sekretär hat uns dabei unterstützt einen Betriebsrat zu gründen und die erste Mitgliederversammlung abzuhalten. Ohne den Betriebsrat und die Unterstützung der Gewerkschaft im Betrieb, machte der Arbeitgeber seine Regeln, die es bei uns so auch 29 Jahre gab. Es gab keine Organisierung, keinen Zusammenhalt. Wir wussten am Anfang nicht wozu wir fähig sind, was wir alles bewirken können.

Was war der Auslöser für eure Organisierung?

Jessica: Wir waren schon lange unzufrieden und haben in den Pausen darüber geredet, dass wir gewerkschaftlich was machen müssen. Ausschlaggebend war dann das niedrige Gehalt.

Enes: Niemand von uns wusste, ob jemand Mitglied in der Gewerkschaft ist. Eine Kollegin von uns hat einen Zettel aufgehängt auf dem stand, dass sie einen Betriebsrat gründen möchte. Wir wollten sie dabei unterstützen, aber sie ist kurz danach abgesprungen. Für uns gab es aber kein Zurück mehr. Mit Rolfs Unterstützung haben wir einen Betriebsrat gegründet. Im Dezember 2019 gab es dann die Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands.

Wie seid ihr vorgegangen, um eure Arbeitssituation zu verbessern?

Enes: Die Gründung des Betriebsrats war ein voller Erfolg. Neun von 13 Mitgliedern kamen von der ver.di-Liste. Da haben wir gemerkt, dass der Großteil der Belegschaft hinter uns steht und schnell Mitglieder, aber auch Selbstvertrauen gewonnen. Wir haben die Kolleg*innen immer persönlich angesprochen. Das Thema höheres Gehalt war nur durch den Zusammenhalt aller zu erreichen.

Jessica: Durch die Ansprache kannten wir fast alle Mitglieder mit Namen, haben ein Bild davon gehabt, wem wir vertrauen können, wer rauskommt, wer nicht. Darauf haben wir unseren Plan aufgebaut. Auf unserer Stärke. Wir wussten genau, wie viele Beschäftigte es auf jeder Etage gibt, wie viele davon Mitglieder sind und wie viele von ihnen zum Streik bereit sind.

Was waren die schwierigen Momente und wie seid ihr damit umgegangen?

Enes: Unsere Unerfahrenheit, die Unsicherheit, die fehlenden Seminare. Die Corona-Situation hat es uns nicht leichtgemacht. Wo können wir mitbestimmen, wo haben wir Beteiligungs-, wo Mitwirkungsrechte? ver.di und unsere Rechtsanwältin Jessica Seifert haben uns gemeinsam sehr unterstützt. Der Arbeitgeber hat versucht uns immer vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Wie war es für euch das erste Mal zu streiken?

Jessica: Das war ein richtig gutes Gefühl. Von vielen Leuten hatten wir gar nicht gedacht, dass sie mitmachen. Die DDG hatte ja keine Streikkultur, daher waren wir verunsichert, wer denn wirklich rauskommt. Ein Großteil der Belegschaft arbeitet seit 20-25 Jahren im Betrieb. Wir haben mit einem einstündigen Warnstreik angefangen, den wir in einer kleinen Gruppe geplant haben. Der erste Streik musste spontan kommen. Das war er auch und kam für den Arbeitgeber sehr überraschend. Als wir mit den Warnwesten draußen standen, hat sich der Großteil der Belegschaft ziemlich schnell angeschlossen. Der Zusammenhalt ist dadurch stärker geworden. Im September haben wir nach dem einstündigen Warnstreik eine vollschichtige Streikaktion durchgeführt, die den Arbeitgeber von unserer Stärke überzeugt hat und bei den Tarifverhandlungen zu einem viel besseren Ergebnis geführt hat.

Wie haben das eure Familien und eure Freunde aufgenommen?

Jessica: Wir streiken für mehr als nur für uns. Mein Mann, meine Freunde fanden das super. Endlich ist es soweit, kam von ihnen. So ein großer Betrieb mit 750 Beschäftigten war seit 30 Jahren nicht gewerkschaftlich organisiert. Wir sind die ersten die gestreikt haben, Mitglieder gewonnen haben, die Kolleg*innen mitgezogen haben. Dafür haben wir privat viel Zeit investiert und bekommen dafür auch von den Meisten unserer Kolleg*innen viel Anerkennung.

Wie hat der Arbeitgeber auf eure Stärke reagiert?

Enes: Der war nicht begeistert, hat aber auch Respekt vor uns gehabt. Wir konnten nur mit der Masse Respekt bekommen. Alleine kannst du nichts bewirken. Da müssen schon alle mitziehen.

Was können andere von euren Erfahrungen lernen?

Enes: Zusammenhalt. Nie aufgeben! Am Anfang gab es viele Kolleg*innen, die nicht mitmachen wollten. Die Gründung des Betriebsrats reichte ihnen. Sie hatten große Bedenken, ein Teil der Gewerkschaft zu werden. Auch bei den ganzen Problemen mit dem Arbeitgeber, und als Corona aufkam, haben wir nicht aufgehört zusammenzuarbeiten. Wir mussten unseren Kolleg*innen erklären, dass der Betriebsrat und die Gewerkschaft zwei unterschiedliche Organe sind, auch wenn es entscheidend ist, dass sie zusammenarbeiten. Einen Tarifvertrag gibt es nur mit der Gewerkschaft.