Streik Akademie – Gemeinsames Lernen und Wachsen in den Tarifrunden Handel

Interview mit Michael Sievers, Sekretär im ver.di-Fachbereich Handel, ver.di Bezirk Mittleres Ruhrgebiet

Birgit: „Super, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast, Michael! Was heißt Tarifrunde gerade für dich?

Michael: Aufregung – weil die Tarifrunde im Handel schon sehr lange dauert und unter sehr besonderen Bedingungen stattfindet: die Nachwehen der Pandemie sind noch deutlich zu spüren, die Inflation ist durch die Decke geschossen und durch die aktuellen Kriege sind die Menschen in großer Sorge.  Die Beschäftigten im Handel sind besonders betroffen von diesen Krisen, da die Arbeitgeber seit Mai 2023 einen Tarifabschluss, mit dem die Kolleginnen und Kollegen leben können, verweigert. Die Beteiligung an den Streiks ist dennoch oder gerade deswegen höher als je zuvor, es gibt mehr Betriebe und neue Gesichter. Die Kolleg*innen sind selbstständiger und engagierter als je zuvor. Es ist aufregend zu sehen, wie die Streikenden sich entwickeln, wie sie in der Tarifrunde wachsen, kreativer und aktiver werden. Natürlich ist eine solch lange Auseinandersetzung aber auch kräftezehrend.

Birgit: Während dieser Tarifrunde habt ihr am 13.07. die sog. „Streik Akademie“ in Bochum veranstaltet, anstatt einer normalen Streikversammlung. Was war der Unterschied?

Michael: Mit der Streik Akademie wollten wir einen Schritt weitergehen. Wir wollten nicht nur streiken, sondern auch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir besser werden können.

Birgit: Welche Ziele hattet ihr dabei?

Michael: Wir wollten ein Gemeinschaftsgefühl schaffen und gleichzeitig reflektieren, was sie als Streikbewegung bereits erreicht haben. Außerdem wollten wir den Kolleg*innen auch Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie noch stärker werden können. Wir haben zum Beispiel das Erstellen von Betriebslandkarten eingeübt, um zu systematisieren, wer noch angesprochen werden muss, um sich am Streik zu beteiligen und Mitglied bei ver.di zu werden. Außerdem war uns wichtig zu vermitteln, wie Gewerkschaften entstanden sind. Wir haben auch über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesprochen, in denen unsere Arbeitskämpfe stattfinden, damit sie Argumente gegen den alltäglichen Neoliberalismus haben. Zum Beispiel haben wir gemeinsam in der Diskussion die Lohn-Preis-Spirale als Märchen der Arbeitgeber entzaubert. Damit wir aber nicht nur im eigenen Saft schmoren, haben wir uns aber auch einen Einblick in eine andere Branche gegönnt: eine Kollegin aus der Universitätsklinik Essen eingeladen berichtete von ihrem erfolgreichen Kampf für den Tarifvertrag. Das macht zusätzlichen Mut und inspiriert auch über Branchengrenzen hinweg.

Birgit: Wie ist die Streik Akademie dann verlaufen?

Michael: Es war unsere erste Akademie und ca.170 Streikende waren da. Ich war anfangs skeptisch, ob die Teilnehmer alles mitmachen würden, aber es hat wunderbar funktioniert. Die Aufteilung in Arbeitsgruppen und die Plenumsarbeit waren eine gute Entscheidung. Es entstand ein starkes Gemeinschaftsgefühl, alle haben bis zum Ende mitgemacht, und laut den Rückmeldungen hat es den Streikenden viel gebracht. Am Nachmittag haben sie sich dann auf ihre Betriebe konzentriert und Betriebslandkarten erstellt, um herauszufinden, wen sie noch ansprechen müssen. Im Anschluss haben sich 37 Kolleginnen aus 11 Betrieben für ein Ansprachetraining gemeldet, das zeitnah durchgeführt wurde.

Birgit: Klingt super. Welches Fazit zieht ihr aus dieser Erfahrung?

Michael: Dass wir so etwas auf jeden Fall wiederholen wollen. Dann eher zu Beginn einer Tarifrunde, weil es sich natürlich anbietet, den Teilnehmenden das nötige Rüstzeug möglichst früh mitzugeben. Ausgerüstet mit vielen Argumenten, dem Mapping, einem Ansprachetraining und dem nötigen Schwung, werden wir in der nächsten Tarifrunde dann noch viel schlagkräftiger als in dieser.

Birgit: Recht herzlichen Dank für deine Zeit, trotz der noch laufenden Tarifrunde.“