Veränderung ist möglich

Interview mit Katharina Schwabedissen über die Klinikstreiks – Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft

Was für eine Rolle spielt Erschließung bei den Krankenhäusern?

Eine große. Wir sind in den öffentlichen Häusern gut vertreten. Aber mehr als die Hälfte aller Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen ist kirchlich und damit an alle Sonderrechte kirchlicher Einrichtungen „gebunden“: Dort gibt es Mitarbeitervertretungen und angeblich kein Streikrecht. Wir haben gute Personalrats- und Betriebsratsstrukturen in den öffentlichen Krankenhäusern. Was in vielen Häusern fehlt sind Aktivenkerne aus den Belegschaften. Vieles läuft über Betriebsratsarbeit. Betriebsräte sind zunächst auch unsere Ansprechpartner*innen. Erschließung heißt für uns: mehr ver.di-Mitglieder zu gewinnen und da wo wir gut organisiert sind, Menschen dazu zu ermutigen, aktiver zu werden. Also nicht zu sagen: „stellvertretend macht das schon der Personal- oder der Betriebsrat“, sondern den Kolleg*innen Mut zu machen, sich einzumischen. Es ist ihr Betrieb. Also sollten sie auch Themen und Richtung bestimmen. Da haben wir noch viel zu tun.

Wo steht eure Arbeit?

Wir sind mit der Uniklinik Düsseldorf Mitte letzten Jahres in den Streik für einen Tarifvertrag Entlastung gegangen und haben die Streiktage immer auch genutzt, um neue Aktive zu gewinnen und wegzukommen von der Idee, dass der Personalrat und der Vertrauensleutekörper es schon richten wird. Viele Kolleg*innen wurden auf den Stationen aktiv. Wir haben angefangen Teamdelegierte oder Ansprechpartner*innen in den Teams zu suchen, die unter anderem Informationen in die Teams transportiert haben.  Die Kolleg*innen aus den Teams konnten damit auch die Diskussionen der Teams z.B. in Streikversammlungen tragen. Dadurch wurden die Debatten in den Teams bekannt und teilweise wurden über diese organisierten Stationen Nachbarstationen, die noch nicht so gut organisiert sind angesprochen, mitgenommen und „beraten“.

An der Uniklinik Essen lag der Fokus zu Beginn der Entlastungsbewegung nicht auf dem Thema „Streik“. Dort hat sich der Streik in diesem Sommer aus Druckaktionen im Herbst 2017 im Betrieb entwickelt. Die Idee der Druckaktionen war, die Teams als Teams zu organisieren und gemeinsam Druck aufzubauen. Also keine individuellen Entscheidungen mehr zu fällen: z.B. vom „ich komme nicht mehr aus dem Frei“ zum „wir gemeinsam entscheiden uns nicht mehr aus dem Frei zu kommen, unsere Pausen einzuhalten, keine ärztlichen Tätigkeiten zu übernehmen und kündigen das auch an“ zu kommen. Das Ziel war, zehn Stationen zu organisieren. Wir sind dann bei ca. 22 gelandet. Das war nicht einfach. Mit dem Streikbeginn in Essen war dann ohnehin alles anders. In den Streiks der letzten Wochen ist die Belegschaft sehr eng zusammengerückt. Wir sind gespannt, wie das die Organisierung in den Betrieben nochmal verändert. Wir haben in beiden Häusern unglaublich viele neue Mitglieder und Aktive gewonnen.

Welche Qualifizierungsmaßnahmen habt ihr mit Sekretär*innen durchgeführt?

Wir haben im Rahmen des Erschließungsprojektes Altenpflege in regelmäßigen Treffen immer auch Fortbildungsmodule angeboten. Klassisches „Handwerkszeug“: Wie mache ich ein Mapping? Wie finde ich Aktive? Mit welcher Kollegin rede ich? Wir haben immer die Tendenz mit denjenigen am längsten zu reden, die am wenigsten an uns ran wollen und vergessen darüber, zu gucken, wo die Unentschiedenen sind. Wir haben Ansprachetrainings mit Ehrenamtlichen gemacht. Das war anfangs ungewohnt. In den beiden Streikbetrieben, in denen wir mit Organizer*innen systematisch Streikenden qualifiziert haben, um strukturiert Kolleg*innen anzusprechen, wurde das schnell zur „Routine“.

Ihr wollt eure Basis auf andere Krankenhäuser ausweiten. Wie wollt ihr das machen? An welchem Punkt steht ihr da?

Das diskutieren wir gerade. Die Überlastung in den Krankenhäusern ist krass. Da ist die Zeit zur Organisierung schlicht knapp und viele Kolleg*innen gehen nach der Lohnarbeit zur „zweiten Schicht“ nach Hause.

Wir hatten im Juni mitten in der Woche eine große Demonstration im Rahmen der Gesundheitskonferenz mit 4.000 Kolleg*innen, die wir mit Aktiven aus den Krankenhäusern und der Altenpflege vorbereitet haben. Wir haben einen Aktivenkreis zum Thema Entlastung, und von Anfang an gesagt: „Nicht ver.di organisiert eine Demo für die Kolleg*innen, sondern die Kolleg*innen organisieren miteinander eine Demonstration füreinander“. Das hat gut geklappt. Es kamen viele Kolleg*innen auf der Bühne zu Wort, die sonst vielleicht vor der Bühne gestanden hätten.  Das Thema Entlastung ist in der Gesellschaft und in den Medien angekommen. Für uns war eine große Demo ein Ziel. Aber dahinter lag das wichtigere Ziel, Energie für eine lange Auseinandersetzung für Entlastung zu tanken. Das hat hoffentlich geklappt. Wir waren Viele! Alle 16 Gesundheitsminister sahen sich verpflichtet, auf die Bühne zu kommen und zuzuhören. Es war deutlich zu spüren, dass die Zeit des Ertragens vorbei ist. Das macht Mut! Diese Energie nehmen alle, die da waren wieder mit, auch in die Betriebe. Und Erschließung braucht immer die Hoffnung, das Veränderung möglich ist und man nicht alleine kämpft.