Wir brauchen eine Einstellungspraxis, die ver.di zu einer Gewerkschaft der Vielfalt verändert

Interview mit Romin Khan – Referent für Migrationspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung

Du hast eine Veranstaltung zum Thema Einwanderungsgesellschaft und Erschließung aufgerufen. Warum? Was verbindet die Themen inhaltlich für dich?

In den letzten Jahren gibt es bei ver.di eine positive Mitgliederentwicklung von Menschen, die neu nach Deutschland eingewandert sind. Es kam die Frage auf, wie das kam. Wer ist dafür verantwortlich? Welche Voraussetzungen sind dafür nötig gewesen, um eine positive Mitgliederentwicklung in dem Bereich zu erzielen, und wie kann man das verstärkend aufgreifen, gute Beispiele verallgemeinern und an dem Thema intensiver arbeiten?

Von welchen guten Beispielen sprichst du im Einzelnen?

Was die Datenanlage angeht, können wir sagen, dass die Eintritte von Kolleg*innen aus Südeuropa, z.B. Italien und Spanien, aber auch aus osteuropäischen Ländern wie Polen und den neuen Beitrittsländern Rumänien und Bulgarien, angestiegen sind. In den Bereichen Logistik, Verkehr und dem Gesundheitswesen spiegelt es sich wider, dass Deutschland ein wichtiges Einwanderungsland, ein Magnet für viele Menschen ist, um hier zu arbeiten. Dadurch sind sie auch bereit, sich zu organisieren, wenn sie angesprochen werden.

Welche Erfahrungen haben ver.di-Sekretär*innen bei ihrer Organisierungsarbeit in Branchen gemacht, die einen hohen Anteil an Beschäftigten mit Migrationshintergrund haben?

Es wurde die Erfahrung gemacht, dass die Ansprache oder das, was die Leute motiviert, gewerkschaftlich aktiv und Mitglied zu werden, gar nicht anders ist als in anderen Branchen oder bei anderen Beschäftigten auch. Unsere Ansprache soll Menschen dazu bringen zu begreifen, dass sie es selber sind, die aktiv werden, sich engagieren und Mitglied werden müssen, weil die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen von ihnen selbst abhängt. Es gibt viele Erfahrungen, die zeigen, sobald wir die Kolleg*innen stärker einbeziehen und ihnen Verantwortung übertragen, damit sie Vertrauensleute- oder Aktivenstrukturen im Betrieb aufbauen, dass das den ganzen Prozess der gewerkschaftlichen Aktivierung nach vorne bringt.

Wie kann es gelingen, Kolleg*innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit als Mitglieder zu gewinnen bzw. gewonnene Mitglieder zu binden und in die Organisation zu integrieren?

Wir brauchen generell eine Offenheit für die Themen der Kolleg*innen, die jenseits der klassischen Gewerkschaftsthemen wie Entgelt, Tarifvertrag und Arbeitsrechte weitere Interessen haben. Kurz gesagt: Wer prekär arbeitet, hat häufig auch einen von Prekarität geprägten Alltag. Wir sollten im Blick behalten, unter welchen Bedingungen die Leute hier sind. Haben sie einen sicheren  Aufenthalt? Ist ihre Wohnsituation an den Arbeitsplatz gekoppelt? Haben sie die Möglichkeit, sich sprachlich fortzubilden, überhaupt Sprachkurse in Anspruch zu nehmen? Sind sie über ihre Rechte aufgeklärt oder sind sie im Zweifelsfall noch in der Situation, in der sie wenig darüber wissen, über welche Arbeits- und betrieblichen Rechte sie verfügen? Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Fragen bei der Erschließungsarbeit auf dem Schirm  zu haben und darauf  einzugehen, falls Fragen aufkommen, ob es legitim ist, Gewerkschaftsmitglied zu werden und sich für seine Rechte am Arbeitsplatz einzusetzen.

Wenn das eine Priorität bei ver.di sein soll, wie machen wir das?

Erstens brauchen wir eine Einstellungspraxis, die ver.di zu einer Gewerkschaft der Vielfalt verändert.

Ob und an welcher Stelle Kolleg*innen mit einer Einwanderungsgeschichte bei uns arbeiten, ist nicht zuletzt eine Frage der Glaubwürdigkeit, wenn wir die Interessen der Lohnabhängigen in der von Vielfalt geprägten Arbeitswelt solidarisch vertreten wollen. Wir wollen durch die Umstellung unserer Arbeit mehr Ressourcen für Erschließung einsetzen. Meiner Meinung nach sollten wir dann einen geschärften Blick darauf haben, wer in den Teams arbeitet. Wenn Sekretär*innen mit Migrationshintergrund in den Teams präsent sind, hilft es dabei, ein anderes Vertrauensverhältnis zu den Beschäftigten herzustellen und andere Zugänge zu den Communitys aufzubauen. Kolleg*innen, die im Zweifelsfall sogar die gleiche Sprache sprechen, fungieren als wichtige Brückenbauer. Außerdem ist ganz zentral, Kolleg*innen im Betrieb einzubinden, die von vornherein darauf gucken, wer Sprecherpositionen einnehmen könnte und drittens stellt sich perspektivisch die Frage, wenn die Kolleg*innen Mitglied werden, wie sie die Vorteile, die sie aus der Mitgliedschaft gewinnen, auch realisiert bekommen. Aber auch das ist nicht anders als bei allen anderen Beschäftigten auch!