Wir müssen eine ganz dicke Wand gegen den Arbeitgeber aufbauen

Interview mit den ver.di-Aktiven des Uniklinikums Aachen und Essen,
Dagmar Holste und Jonas Schwabedissen

Selten hat ein Organizingprojekt bei ver.di in NRW so hohe Wellen, wie der Kampf um den Tarifvertrag Entlastung, geschlagen, der 2022 an sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen stattfand. Während die Auswertungen und die Debatten in unserer Organisation darüber Heißlaufen, möchten wir einen Blick auf die Erfahrungen der betrieblichen Aktive werfen, die diesen historischen Erfolg ermöglicht haben. Dafür haben wir ein kurzes Interview mit zwei ver.di-Aktiven, Dagmar Holste und Jonas Schwabedissen geführt. Dagmar arbeitet als Anästhesie-Schwester im Uniklinikum Aachen. Jonas ist Krankenpfleger im Uniklinikum Essen. Uns hat interessiert, was die beiden über den Aufbau betrieblicher Stärke gelernt haben.

Wenn ihr jemandem aus einer komplett anderen Branche erklären müsstet, wie es möglich ist ihren Betrieb zu erschließen, was fällt euch zuerst ein?

Dagmar: Wir müssen die Sorgen und Probleme der Menschen ernst nehmen, und versuchen, gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Das heiß praktisch, wir müssen ganz viel reden und viel Überzeugungsarbeit leisten. Das ist das A und O. Ich war schon nach der zweiten Woche heiser, und das hat nie aufgehört. Am Ende habe ich mit fast allen 120 Leuten in der Anästhesie geredet. Viele Leute fühlen sich allein gelassen auf der Station. Darüber
reden wir mit Leuten, nach dem Motto, du bist nicht alleine! Wir stehen jetzt auf und wehren wir uns.

Jonas: Das erste wichtige Erkenntnis für viele waren, man hat alleine nicht Probleme, sondern man teilt die Problemen mit vielen anderen. Das ist so wichtig, weil es der Ausgangspunkt ist, wie wir mit Leuten im Betrieb in Kontakt kommen.

Dagmar: Genau. Gemeinsame Ziele, hinter denen sich alle vereinen können, sind wichtig. Ich kann nicht alles klären, alles was man haben kann, sondern wir müssen uns auf ein gemeinsames Ziel einigen, und dann das Große aufbauen.

Neben der Ansprache von unorganisierte Kolleg*innen reden wir in der Erschließungsarbeit oft über „Mapping“, also, die Arbeit mit Betriebslandarten oder Teamkarten. Wie würdet ihr jemanden erklären, wie das geht? Wie war das für euch?

Jonas: Zuallererst braucht man Klarheit, wer arbeitet überhaupt im Betrieb? Wo genau arbeiten die? Wer ist schon organisiert? Wer hat schon bei einer Aktion mitgemacht? Dann setzen wir uns Prioritäten, wen wollen wir wo zuerst ansprechen? Dann fängt man an mit Kolleginnen zu sprechen. Wichtig ist es, dass wir nicht alle ansprechen, sondern dass wir erstmal diese Schlüsselpersonen aussuchen, die bei den anderen Kolleginnen anerkannt sind und selber bereit sind einzusteigen und ihre eigenen Kolleginnen anzusprechen. Wir müssen nicht alle sofort organisieren, sondern diese Schlüsselpersonen finden, die das in ihren Bereichen selber machen. Wenn wir eine Betriebslandkarte und die Schlüsselpersonen haben, dann sind wir einen deutlichen Schritt weiter.

Dagmar: Ich fand es am Anfang heftig, mit den Teamkarten zu arbeiten, und genau zu folgen, wo meine Kolleginnen standen, aber es war nötig. Ich weiß es zumindest nicht, wie man sonst eine gewerkschaftliche Struktur sonst aufbauen kann. Dadurch konnten wir sehen, mit wem wir noch reden müssen. Sonst verliert man
schnell den Überblick.

Jonas: Es ist auch nicht entscheidend, ob das Mapping perfekt ausgeführt ist. Die grundsätzliche Frage dabei ist, haben wir die Stärke, die wir brauchen, um zu gewinnen. Darauf kommt es an! Ein „Stärketest“ ist auch ein Instrument, das immer häufiger im Rahmen von Erschließungs- und Tarifarbeit benutzt wird. Was versteht ihr darunter?

Jonas: Wir haben den Arbeitgebern ein Ultimatum gestellt. Sie hatten 100 Tage Zeit, in Verhandlung mit uns zu kommen. Wenn sie das nicht tun, dann streiken wir. Auf den Weg dorthin haben wir Stärketests gemacht, das hieß, wir haben überprüft, wie gut wir Aktive, also die ver.di-Struktur im ganzen Klinikum, abgedeckt haben, was die Ansprache und Mobilisierung der Kolleg*innen angeht.